Stürmische Begeisterung über Liederkranz-Musical

Murrhardter Zeitung vom 08.11.2004

Jubiläumsprojekt „My Fair Lady“ mit Stuttgarter Salonikern – Chöre zeigen
zum 175-jährigen Bestehen ihr Können

Murrhardt (pan) – Ein richtiges gesellschaftliches Ereignis war die
Aufführung der Highlights aus dem Musical „My Fair Lady“ durch den
Liederkranz Murrhardt, dirigiert von Angela Westhäußer-Kowalski, kombiniert
mit Salonstückeinlagen, die die Stuttgarter Saloniker mit Patrick Siben am
Klavier spielten.

Vorneweg: Die „Liederkränzler“ zeigten sich und ihr Können von der besten
Seite. Da wurde nicht nur gesungen und geschauspielert, sondern auch getanzt
und gesteppt. Die solistischen Einlagen wurden bestritten von Kerstin
Kirsch, Elke Veitinger, Ursula Belafi, Gerda Zopp sowie Günther Schriefer,
Ernst Abraham, Dieter Honosch und Dieter Pfizenmaier. Katrin Bauer legte den
Stepp ein und Dietrich Westhäußer-Kowalski war für die Klavierbegleitung
zuständig. Beim Chor mischten alle Abteilungen mit: vom Kinder- und
Jungendchor über den Männer-, Frauen- und den gemischten Chor bis zum
Ensemble Da Capo.
Am Freitagabend herrschte konzentrierte Stimmung in der Festhalle –
Generalprobe (hier entstanden unsere Bilder). Bis zuletzt wurde am
Feinschliff gearbeitet: Ein kurzer Dialog zwischen Angela
Westhäußer-Kowalski und Patrick Siben, eine Korrektur am Rhythmus des
Orchesters. Siben notiert’s, das Orchester intoniert’s. Man erahnt, wie viel
Rädchen geschliffen werden mussten, damit am Ende alles so glatt abläuft,
als sei’s das Normalste von der Welt.
Beschwingt und leicht, mit viel Humor kommt das von Frederick Loewe
komponierte Musical daher, doch wohnt ihm tatsächlich große Tiefe inne,
basiert „My Fair Lady“ doch auf dem Bühnenstück „Pygmalion“ von George
Bernard Shaw. Um die Hierarchie der Gesellschaft, aber auch um die im 19.
Jahrhundert so positivistische Einstellung der Wissenschaft gegenüber, geht
es. Nebenbei thematisiert „My Fair Lady/ Pygmalion“ auch das Verhältnis von
Schöpfer und seiner Schöpfung; ein Motiv, das sich im 19. Jahrhundert durch
die Literatur zieht. Sei es Mary Shelleys „Frankenstein“, sei es „Dr. Jekyll
und Mr. Hide“ von Robert Louis Stevenson. In diesen Romanen scheitert der
Versuch, ein Wesen nach eigenem Gutdünken zu konstruieren, das in seinem
Abhängigkeitsverhältnis bleibt. Ansätze solcher „Schöpfung“ finden sich auch
in „My Fair Lady“ wieder, nur geht hier die überhebliche Einstellung, dass
Frauen kein Hirn haben und formbar sind, noch mal glimpflich ab. Die Heldin
ist am Ende so klug, dass sie das männlich-gesellschaftliche Spiel
durchschaut, mitmacht und zeigt, dass sie dessen Funktionsweise beherrscht.
Am Anfang steht eine Wette: Der Sprachwissenschaftler Professor Higgins
wettet mit Oberst Pickering, dass er nach „des-Kaisers-neue-Kleider-Prinzip“
aus einem Mädchen der Unterschicht durch Spracherziehung eine Dame von Welt
erschaffen könne. Als Versuchskaninchen wird die Blumenverkäuferin Eliza
Doolittle auserkoren. Der Unterricht ist hart und sieht zunächst wenig
Erfolg versprechend aus. Eliza bringt trotz Higgins’ Anleitung fortwährend
nur ein schräges „Es grient so grien“ heraus. Higgins will schon aufgeben,
da schafft Eliza den Durchbruch zum Wohlklang doch: „Es grünt, so grün, wenn
Spaniens Blüten blüh’n“.
Das erste gesellschaftliche Bewährungsparkett ist das Derby in Ascott und
Eliza meistert die Situation zwar nicht perfekt, aber die tonangebende
Klasse ist zufrieden mit ihr. Nur beim Wetten geht ihr der Gaul durch und
ihr entschlüpft ein sprachlicher Fauxpas. Der hindert ihren Verehrer Freddy
nicht, sich unsterblich in sie zu verlieben.
Am Ende ist Eliza durch eine harte Schule gegangen, sie hat viel gelernt und
vor allem ihr Umfeld und den autoritativen Charakter ihres Meisters
durchschaut, gegen den sie sich aufzulehnen beginnt. Doch Ende gut, alles
gut: Professor Higgins erkennt, was er an seiner Straßenschönheit hat und
sie bringt ihrem Helden die Pantoffeln, so dass aus männlicher Sicht die
Ordnung wieder hergestellt ist. Durch die mehrfache Besetzung der Rolle von
Eliza wurde subtil deutlich, dass die Person als solche austauschbar ist.
Am Ende hatten sich die Mühen des Liederkranzes gelohnt. Die liebevoll
gestalteten Bühnenbilder und die passenden Kostüme trugen mit dazu bei, das
die Aufführung überzeugend gelang. So gut kam die Liederkranz-Interpretation
von „My Fair Lady“ an, dass das Publikum nicht nur frenetisch applaudierte,
sondern den Akteuren, der bemerkenswerten Leistung der Dirigentin Angela
Westhäußer-Kowalski und den Salonikern sein Wohlgefallen durch Standing
Ovations demonstrierte.